Dieser Artikel basiert auf meiner Auseinandersetzung mit dem Buch „Business für Punks“, verfasst von James Watt – allerdings nicht mit dem, der den Weg für die Dampfmaschine bereitet hat, sondern einem der Gesellschafter der schottischen Biermarke BrewDog.
Ich beschäftige mich in diesem Artikel mit einigen der Thesen aus dem Buch und nehme dazu Stellung.
Sowjet-Harvard und das Diplom-Proletariat
In den letzten Jahren, in den 2010ern, wird immer mehr Menschen klar, dass viele der Theorien, die wir bisher für wahr gehalten haben, nicht zutreffen.
Immer mehr Manager entdecken, dass vieles, was sie in „Wirtschaftswissenschaften“ gelernt haben, ihnen in der wirklichen Welt wenig nützt.
Nicholas Taleb bezeichnet es als „Sowjet-Harvard-Kultur“: Leute, die sich in rigiden, wirklichkeitsfremden Theorien ergehen und ernsthaft glauben, Antworten zu haben. Ihre Maßnahmen wirken zwischen gar nicht bis verheerend, eben weil sie nicht von den realen Gegebenheiten ausgehen, sondern von unzutreffenden Theorien und Wunschdenken.
Im August 2016 hat jemand auf Facebook den Begriff „Diplom-Proletariat“ verwendet für eine Gruppe von Akademikern, die immer noch weltfremden Theorien anhängt. Leider geben sie auch ihre politische Stimme dort ab, wo Maßnahmen auf Basis jener weltfremden Theorien getroffen werden. Das führt naturgemäß nicht nur zu den gewünschten Lösungen.
Brothers And Sisters Are Doing It For Themselves
Aus meinen eigenen Erfahrungen mit Therapie bin ich zu der Arbeitshypothese gelangt, dass sehr viele Menschen Therapeuten werden, um zu versuchen, sich selbst zu heilen.
Menschen, nach dem Studium, meistens mit wenig Lebenserfahrung, arbeiten sich durch Theorien, in der Hoffnung, anwendbare Lösungen für die Vielfalt vielschichtiger menschlicher Probleme, Schwierigkeiten und Hindernisse zu finden.
Die psychologische Theorie hilft da aber meistens wenig. Das menschliche Leben ist zu vielfältig und findet auf zu vielen Ebenen statt, um in einfache Theorien zu passen, die der Durchschnittsmensch mit 20 versteht.
Ähnlich verhält es sich nach meiner Beobachtung mit Unternehmensberatern. Viele von ihnen versuchen auch, mit Theorien lebende Probleme zu lösen. Die Ergebnisse variieren, sind im Durchschnitt aber nicht spektakulär.
Ich wollte selbst mal Unternehmensberater werden. Inzwischen bin ich davon zum Glück geheilt.
Street Smart wins over School Smart
Persönlich ziehe ich Erfahrung der Theorie vor.
Ebenso denke ich, dass emotionale Stabilität wichtiger ist als theoretische Kenntnisse. In den meisten Berufsfeldern kann man sich einarbeiten, solange man nicht zu viel Angst vor Fehlern hat.
Investment-Banker haben festgestellt, dass es eine direkte negative Korrelation gibt zwischen der Fähigkeit, Businesspläne zu schreiben und ein reales Unternehmen dauerhaft zu führen und zu erhalten.
Soll heißen: Je besser jemand Business-Pläne schreibt, desto schlechter führt er später das Unternehmen, insbesondere wenn er seine Entscheidungen auf den vorher getroffenen theoretischen Annahmen basiert und nicht auf dem, was tatsächlich passiert.
Business Punks: Weg mit dem Ballast
Ein immer wiederkehrendes Motiv des Buches von James Watt ist seine Vorgehensweise, Unnützes wegzulassen und unzutreffende Theorien zu ignorieren.
In ähnlicher Weise war Bruce Lee der „Punk“ des Kampfsportes zu seiner Zeit. Er hat auf fundamentale Wirklichkeiten des Kämpfens hingewiesen, die von einigen Theorien und ritualisierten Traditionen nicht ausreichend anerkannt waren.
In seinem Buch stellt James Watt eine Reihe von Thesen auf. Zu ein paar davon beziehe ich hier Stellung.
In den verschiedenen Kapiteln werden die Unternehmensbereiche nacheinander über das gleiche Motiv bearbeitet: Reale Menschen in realem Geschehen versus Theorien in einem akademischen virtuellen Raum.
Die Thesen:
- Netzwerken ist für selbstverliebte Trottel
- Planen ist bestenfalls überschätztes Raten
- Niemand versteht Unternehmenskultur
- Die meisten Unternehmensberichte sind für die Tonne
- Sie müssen die Finanzseite verstehen, und zwar so richtig
- Jeder muss seinen eigenen Weg finden
These 1: Netzwerken ist für selbstverliebte Trottel
James Watt sagt, Netzwerken sei nur für selbstverliebte Trottel.
Sicherlich wird Netzwerken von vielen falsch verstanden. Das Abhängen auf möglichst vielen Networking-Events führt auch nicht, wie manche glauben, auf magische Weise zu Aufträgen.
Auch ist es nicht nutzbringend, die Treffen mit anderen Menschen vorrangig dazu zu nutzen, sich aufzublasen und als besonders toll darzustellen. Natürlich nicht.
Auf ausgewiesenen Netzwerk-Veranstaltungen treffe ich auch nicht immer nur Leute, die mir helfen, mein Business voranzubringen.
Andererseits ist jede Zusammenarbeit Netzwerken. Die verschiedenen Parteien tauschen Werte miteinander aus: Arbeit, Information, Geld, usw.
Das Führen eines Unternehmens ist Beziehungsmanagement. Darauf kommt es an: Auf Beziehungen zu Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten, Interessenten, Medien, usw.
Wenn ich in das Beziehungs-Netzwerk etwas Produktives hineingebe, bekomme ich Wert zurück, auf dem einen oder anderen Weg.
Insofern ist Netzwerken essenziell. Es wird nur von Vielen falsch verstanden.
These 2: Planung ist bestenfalls überschätztes Raten
Jeder, der im realen Leben unterwegs ist, weiß, dass ein Plan zu Staub zerfällt, sobald er den ersten Kontakt mit der Wirklichkeit hat.
Der Unternehmer weiß am Anfang der Periode nicht, was passieren wird.
Da das Unternehmen in der wirklichen Welt existiert, gibt es auch zu viele Einflussfaktoren, als dass er sie alle zutreffend vorwegnehmen könnte.
Meine eigene Erfahrung ist, dass Planen dabei helfen kann (wenn es tatsächliches Planen ist, das an der Wirklichkeit orientiert ist), gute Fragen an den Unternehmensprozess zu stellen und ein paar Problematiken grob vorwegzunehmen. Ein paar mittelfristige Risiken können durchaus erkannt werden.
Wer allerdings erwartet, dass es wirklich nach Plan läuft: Viel Glück!
These 3: Niemand versteht Unternehmenskultur
Es wird viel von „Unternehmenskultur“ geredet. Wie viele Arbeitnehmer verstehen wirklich, was das heißt? Vermutlich weniger als ein Drittel.
Hochglänzende Wort-Formeln werden nachgeplappert, um Jobs zu kriegen. Sehr viele „Unternehmenskulturen“ sind Ansammlungen hohler Phrasen. Im Unternehmensalltag erlebt man oft das Gegenteil von dem, was das Unternehmen vollmundig präsentiert.
Aus „politischer Korrektheit“ werden Aggressionen unterdrückt, anstatt Konflikte wirklich zu lösen mit einem Lerngewinn für ALLE Beteiligten.
Das führt naturgemäß zu dem, zu dem es führt.
These 4: Die meisten Unternehmensberichte sind für die Tonne
Ich schätze, dass etwa die Hälfte der betriebswirtschaftlichen Berichte, die ich seit 1998 als freiberuflicher Controller erstellt habe, direkt in die Tonne gegangen sind.
Ja, es werden Berichte erstellt, die niemand liest, weil niemand sich Gedanken macht, welche Berichtsinhalte dem Unternehmen nützen und welche nicht. Berichte werden einfach entworfen und mit den Empfängern nicht abgestimmt.
Es werden Kennzahlen berichtet, die niemand braucht, weil sie in einem BWL-Buch stehen oder weil jemand gerne mit Formeln herumspielt. Ich selbst habe (ich war jung und brauchte das Geld) haufenweise sinnlose Formeln entworfen, die absolut nutzlos waren.
Die Empfänger trauen sich nicht, nachzufragen, und so geht es immer so weiter.
Eine korrekte Standard-BWA und Summen- und Saldenliste sind allerdings nicht für die Tonne, sondern wichtige Monatsauswertungen.
Gewinn, Verlust, Vermögen und Schulden, und, allem voran, Liquidität. Über diese Dinge muss die Führung bescheid wissen und die Zusammenhänge auch VERSTEHEN.
Und damit ist NICHT gemeint, nur die Theorie gehört zu haben, sondern WIRKLICH zu verstehen, was die Zahlen bedeuten und welche Konsequenzen sie haben.
Die Führung muss wissen, was ein hoher oder niedriger Gewinn bedeutet, und dass auch der höchste Gewinn nicht zwingend Liquidität erzeugt. Die Führung muss körperlich fühlen, was es heißt, wenn die Liquidität 2. Grades unter 1 liegt.
These 5: Sie müssen die Finanzseite verstehen, und zwar absolut vollständig
Natürlich.
Ohne Liquidität ist das Unternehmen tot.
Wer die Kostenstruktur nicht versteht, kann weniger schlau investieren.
Sie müssen das Steuersystem verstehen, welches für Ihr Unternehmen gilt, und vor allem, wie viel Steuern Sie bereits gezahlt haben und wie viel Sie noch schulden.
Die Unternehmensführung muss wissen, wo das Geld wann herkommt und wo es wann hingeht.
Sie muss wissen, wie viel von dem Geld wem gehört: Welchem Gesellschafter, welchem Investor, welchem Darlehensgeber, welchem Finanzamt?
Sie muss wissen, wo sie ihr Geld hinterlegt bzw. spart, mit Erträgen oder ohne.
Wenn Sie als Unternehmer die Finanzseite nicht verstehen, und das heißt, nicht wirklich sehr tief und gründlich: Viel Glück!
These 6: Jeder muss seinen eigenen Weg finden
Das gilt sowieso für alles und jeden. Wir können vieles von anderen lernen, aber nicht alles.
Besonders in der Welt des Unternehmers müssen viele Dinge wirklich verinnerlicht werden und nicht nur in der Theorie gelernt.
In der akademischen Theorie finden Sie keine Hilfestellung für das reale Leben.
In der unternehmerischen Praxis stellt sich im Wesentlichen die Frage, wie neurotisch Ihr Umfeld ist und auf welche spezielle Art es neurotisch ist. In die Bedienung dieser Neurosen geht sehr viel mehr Energie als in das Entwerfen schicker Excel-Berichte.
Deshalb können Lösungen da, wo Menschen zusammenarbeiten, kaum jemals vorweg genommen werden, jedenfalls nicht mit dem Fähigkeitsprofil, das die meisten von uns jetzt haben (Stand: Januar 2017).
FAZIT
Ich fand das Buch unterhaltsam zu lesen.
James Watt ist aus meiner Sicht nicht so sehr Punk; er ist eher unverkennbar schottisch. Sowohl die Briten als auch die Schotten haben seit Jahrhunderten Erfahrung mit einer Parallelkultur, die dem Pomp, scheinbaren Glanz und Mumpitz der Bullshit-Kultur wenig abgewinnt.
Ich stimme mit dem Autor überein, dass sehr viel warme Luft (heiße fände ich schon übertrieben) in Unternehmen zirkuliert und dass viel Nutzloses getan wird, dass vieles umständlicher gemacht wird als nötig und dass wirklich kreative Ansätze von akademischem Unsinn und „politischer Korrektheit“ erdrückt werden.
Punk wird salonfähig
Als Bruce Lee um 1960 herum begann, seine Ideen zum Kampfsport zu verbreiten, wurde er vielfach angegriffen. Bruce war aber in der Lage, den Widerstand mühelos konzeptionell und physisch niederzuschlagen. Heute gehören seine Ideen zu den selbstverständlichen Grundlagen der Kampfkunst.
(Es waren zum großen Teil nicht wirklich seine Ideen, aber er brachte sie in den Westen.)
Als 1975 die Sex Pistols auf die Szene traten und 1977 ihr einziges Album veröffentlichten, waren sie für das alteingesessene Establishment bizarr und schrecklich. Heute hört sich ihre Musik eher nach harmlosem Pop an.
John Lydon, vormals Johnny Rotten, wird von der Mainstream-Presse nach seinen vorwiegend intelligenten Meinungen gefragt.
Schon Henry Ford war in einigen Punkten auch Business Punk.
Wahrheiten setzen sich nach und nach durch, und das wird trotz heftiger Gegenwehr auch so bleiben.
VIEL ERFOLG!
Bild: Heather Porcaro, Public Domain
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Hans meint
Was heißt das, die Ideen von Bruce Lee waren nicht wirklich seine eigenen?
admin meint
Hallo Hans, die Kritik an starren Systemen im Gegensatz zu fließenden Prinzipien ist traditionelles Gedankengut im WingTsun. Das hat sich Bruce also nicht selbst ausgedacht; er hat es anschaulich und verständlich gemacht.